Stell Dir vor, Du gehst bei Regen eine Strasse entlang. Ein Lastwagen rast so dicht an Dir vorbei, dass Du von oben bis unten mit Dreckwasser bespritzt wirst. Was tust Du nun? Wartest Du jetzt, bis der Fahrer zurückkommt, um Dich zu säubern? Oder hoffst Du, dass irgend jemand anders des Weges kommt, der Dir Deine Kleidung reinigt? Oder entscheidest Du Dich dafür, Deine verschmutzte Kleidung nun auf ewig anzubehalten und nutzt sie dazu, Dich damit künftig in jede Pfütze zu legen? Vermutlich würdest Du nichts dergleichen tun, sondern auf direktem Weg nach Hause gehen, um Deine verschmutzte Kleidung zu reinigen. Du würdest dies, völlig unabhängig von Schuld oder Unschuld, ganz selbstverständlich einfach tun – für Dich, damit Du Dich wieder wohlfühlen kannst.
Doch wie verhält es sich in anderen Situationen, in denen Du von jemand anderem beschmutzt, verletzt oder sonstwie ungerecht behandelt wurdest? Handelst Du auch dort selbstbestimmt und zu Deinem eigenen Wohl, oder verharrst Du am Ort des Geschehens und wartest dort auf etwas oder jemanden?
Natürlich hast Du recht, wenn Du nun einwendest, dass das obige Beispiel mit dem Lastwagen von einem völlig lapidaren Ereignis erzählt, verglichen mit all den schlimmen und teils tief traumatischen Erfahrungen, die einem Menschen widerfahren können. Unbestritten geschah und geschieht viel Unrecht auf dieser Welt, und es geht hier absolut nicht darum, dies zu ignorieren, kleinzureden oder gar gutzuheissen. Es geht vielmehr darum, Vergangenes zu akzeptieren, wie es nun mal war und damit abzuschliessen, um ihm fortan keine Macht mehr zu geben. Die Vergangenheit lässt sich nicht mehr ändern, aber wir selbst sind es, die entscheiden, wann diese enden darf und bestimmen somit auch selbst über unsere Gegenwart und Zukunft.
Viele Menschen setzen Verzeihen fälschlicherweise mit Entschuldigen gleich. Doch jemandem zu verzeihen, bedeutet nicht, sein Verhalten bzw. seine Taten zu ent-schuld-igen. Die Schuld bleibt, wo sie ist, denn es geht hierbei überhaupt nicht um die Schuldfrage. Zu verzeihen, ist der einzig nachhaltig wirksame Weg, um im eigenen Leben Frieden zu finden. So ist es oft hilfreich, Verzeihen in erster Linie als einen Akt der Selbstliebe zu betrachten. Es ist die Konsequenz der Entscheidung, die Gegenwart nicht länger durch die Vergangenheit quasi 'fremdgestalten' zu lassen. Es bedeutet auch, die Opferrolle bewusst zu verlassen und die Verantwortung für sich selbst und sein Leben (wieder) in die eigenen Hände zu nehmen, denn der Täter ist verantwortlich für die Tat, das Opfer für die Heilung.
Also warte nicht länger darauf, dass der Lastwagenfahrer eines Tages vielleicht doch noch zurückkommt, um sich bei Dir zu entschuldigen oder Dich zu säubern, sondern nimm Dir Deine Macht zurück, geh nach Hause und tu es selbst.
Solltest Du dabei dann allenfalls Mühe haben, da sich einzelne Flecken als hartnäckig erweisen und nicht so leicht auszuwaschen sind, so gibt es zahlreiche Spezialreiniger auf dem Markt ;). Diese darfst Du natürlich gerne in Anspruch nehmen. Doch allem voran steht Deine bewusste Entscheidung, selbst aktiv zu werden – aus Liebe zu Dir selbst.